Von 1912 bis zur Abholbox: 3 überraschende Lektionen über digitalen Wandel von einem Traditionsbetrieb
Alter schützt vor Fortschritt nicht
Das Klischee ist bekannt: Traditionsreiche, alteingesessene Unternehmen sind oft langsam, behäbig und scheuen die digitale Innovation. Man stellt sich veraltete Prozesse und eine Kultur vor, die sich gegen Veränderungen sträubt. Doch während dieses Bild in manchen Fällen zutreffen mag, beweisen visionäre Unternehmen, dass Erfahrung und Fortschritt keine Gegensätze sein müssen.
Ein herausragendes Gegenbeispiel ist die Firma Grohe Srl aus Bruneck. Seit 1912, also seit über 113 Jahren, ist das Familienunternehmen als Fachhändler für Werkzeuge und Beschläge eine feste Größe am Markt. Statt sich auf alten Erfolgen auszuruhen, hat Grohe den digitalen Wandel nicht nur angenommen, sondern aktiv gestaltet.
Die Geschichte von Grohe ist mehr als nur eine erfolgreiche ERP-Einführung. Sie ist eine Fallstudie, die drei überraschende und inspirierende Lektionen für jeden bereithält, der sich mit den Herausforderungen und Chancen der digitalen Transformation beschäftigt.
1. Lektion: Echte Agilität ist keine Frage des Alters, sondern der Entschlossenheit
Die vielleicht größte Überraschung bei Grohe ist die Geschwindigkeit, mit der neue, komplexe Technologien eingeführt werden. Das beste Beispiel dafür ist die Implementierung von Abholboxen an vier Standorten (Bruneck, Brixen, Bozen und Meran). Dieses System ermöglicht es Kunden, ihre bestellte Ware mittels eines zugesandten QR-Codes jederzeit selbstständig abzuholen – ein moderner Service, der Hardware, Software und logistische Prozesse miteinander verknüpft.
Was dieses Projekt so bemerkenswert macht, ist der Zeitrahmen. Die komplette Integration der Abholboxen in das zentrale ERP-System Radix+ wurde innerhalb von nur „ein bis zwei Monaten“ realisiert. Dies ist eine Meisterleistung der Koordination, die die nahtlose Verbindung von physischer Hardware (den Schließfächern), Backend-Software (dem ERP), kundenorientierter Kommunikation (QR-Codes) und Mitarbeiter-Workflows an vier verschiedenen Standorten erforderte.
Dieser Erfolg basierte auf einer kollaborativen Partnerschaft, ein Gefühl, das vom Projektleiter widergespiegelt wird:
“Es ist toll, wenn man Projekte hat, bei denen man wirklich neue, innovative Lösungen gemeinsam erarbeiten und implementieren kann … die Boxen haben wir innerhalb von ein bis zwei Monaten integriert.”
2. Lektion: Intelligentes “Chaos” ist effizienter als starre Ordnung
Auf den ersten Blick wirkt das Lagerkonzept von Grohe kontraintuitiv: Das Unternehmen setzt auf ein „klassisches chaotisches Warenlager“. Das bedeutet jedoch nicht Unordnung, sondern ein hochdynamisches System, bei dem Artikel keinen fest zugewiesenen Platz haben. Ein Produkt kann heute an einem Ort gelagert sein und morgen bereits an einem anderen.
Die Intelligenz hinter diesem System liefert das ERP-System Radix+. Jeder Stellplatz hat eine eindeutige Nummer, die im System hinterlegt ist. Mithilfe einer „ABC-Analyse“ ermittelt die Software kontinuierlich, wie oft ein Artikel verkauft wird. Der entscheidende Vorteil: Artikel, die sich häufig verkaufen, werden automatisch Lagerplätzen zugewiesen, die näher am Verpackungsbereich liegen, um die Wege für die Mitarbeiter zu verkürzen und den Kommissionierungsprozess drastisch zu beschleunigen. Dieser dynamische Ansatz optimiert nicht nur die Auftragsabwicklung, sondern auch die Raumnutzung und bietet die Flexibilität, das Layout an veränderte Produktnachfragen anzupassen – ein entscheidender Vorteil gegenüber statischen Regalsystemen.

3. Lektion: Nahtlose Integration ist der Schlüssel zur Zeitersparnis
In vielen Unternehmen führt Digitalisierung zu einer Ansammlung von Insellösungen: eine Software für den Online-Shop, eine für die Lagerverwaltung, eine für die Fakturierung. Der ständige Wechsel zwischen diesen nicht verbundenen Programmen kostet Zeit und ist fehleranfällig. Grohe verfolgt hier eine konsequent andere Philosophie.
Der Prozess ist von Anfang bis Ende durchgängig gestaltet. Ein Verkäufer stellt gemeinsam mit einem Kunden im Online-Shop einen Warenkorb zusammen. In dem Moment, in dem die Artikel im Warenkorb landen, erscheinen sie in Echtzeit auf dem PDA („Scanner“) des zuständigen Lagermitarbeiters. Dieser kann sofort mit der Kommissionierung beginnen. Obwohl der Online-Shop und das Lagerverwaltungssystem „komplett verschiedene Systeme“ sind, sorgt das ERP-System Radix+ als zentrale Instanz für eine nahtlose Verbindung.
Die Leitphilosophie ist klar: Wahre Effizienz entsteht, wenn Mitarbeiter so weit wie möglich in einem einzigen, einheitlichen System arbeiten und die Zeitverschwendung durch das Wechseln zwischen verschiedenen Anwendungen eliminiert wird. Der wahre Wert liegt nicht in den einzelnen Software-Tools, sondern in ihrer reibungslosen Zusammenarbeit.
Die wichtigste Schnittstelle ist die zwischen Mensch und Möglichkeit
Die Geschichte von Grohe Srl zeigt eindrucksvoll, dass ein Traditionsunternehmen an der Spitze der digitalen Innovation stehen kann. Die drei Säulen des Erfolgs sind klar erkennbar: die Agilität, neue Ideen schnell umzusetzen; die Intelligenz, bewährte Prozesse durch datengesteuerte Systeme zu optimieren; und die Konsequenz, auf nahtlose Integration statt auf isolierte Insellösungen zu setzen.
Doch die beste Technologie ist nur so gut wie die Menschen, die sie anwenden. Der Erfolg bei Grohe ist auch auf die sorgfältige Vorbereitung der Mitarbeiter durch Schulungsvideos und eine technisch problemlose Implementierung zurückzuführen – ein Faktor, der, wie im Erfahrungsbericht angemerkt wird, „nicht bei jedem Software-Projekt selbstverständlich ist“. Am Ende geht es darum, die richtige Schnittstelle zwischen den Möglichkeiten der Technologie und den Bedürfnissen der Menschen zu finden.
Welcher Prozess in Ihrem Unternehmen wartet nur darauf, durch die richtige Technologie neu und nahtlos gedacht zu werden?